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Die volle Auslastung des (älteren) jüdischen Friedhofs (siehe Station 5, Älterer jüdischer Friedhof) erzwang 1875 die Errichtung einer weiteren Begräbnisstätte: Kaum 100 Meter vom bestehenden Friedhof entfernt wurde ein neues Friedhofsareal etabliert und noch im selben Jahr mit der Belegung begonnen - der jüngere jüdische Friedhof Eisenstadts entstand.
Johannes Reiss, der eine umfassende Monographie zu den Grabinschriften des jüngeren jüdischen Friedhofs vorgelegt hat, erläutert Anlage und Eigenart des Friedhofs:
Johannes Reiss, "... weil man uns die Heimatliebe ausgebläut hat ..." (= Reiss 2001. S. 75f.)»Auch auf diesem Friedhof sind - so wie am älteren und allen übrigen jüdischen Friedhöfen des Burgenlandes - fast alle Grabinschriften hebräisch verfasst. (...) Alle Grabreihen - mit Ausnahme der später hinzugekommenen ersten (Massengräber exhumierter jüdischer Zwangsarbeiter) und der fünften, also der ursprünglich vierten Reihe - sind nach Osten ausgerichtet. Während bei der ersten Reihe offensichtliche Platzgründe für eine westliche Ausrichtung verantwortlich waren, ist dieser Umstand bei der heute fünften Reihe ausgesprochen erstaunlich. Wir können die Gründe nur vermuten: Während in früheren Zeiten meist Personen mit gleichem Gelehrsamkeitsrang, wohltätige Personen, Gelehrte neben (gleichrangigen) Gelehrten etc. bestattet wurden, finden wir in der Neuzeit auf den meisten jüdischen Friedhöfen bereits Ehepaare und Verwandte nebeneinander bestattet. (...) Es ist augenscheinlich, dass in den ursprünglichen ersten drei Reihen, also der heutigen zweiten, dritten und vierten Reihe, ausschließlich Männer und diese wiederum nach dem Grad ihrer Gelehrsamkeit bzw. der religiösen Hierarchie im Gemeindeverband abgestuft begraben sind. Das erste Grab einer jüdischen Frau ist das erste Grab der fünften Reihe! Liegt hier eine Renaissance alter jüdischer Traditionen bezüglich der Belegung eines Friedhofes vor? War die Tatsache, dass man ab der sechsten Reihe den modernen Zeiten Rechnung trug, Anlass, die fünfte Reihe so deutlich zu kennzeichnen?«
Im Ganzen finden sich auf dem jüngeren Friedhof heute rund 300 Grabsteine; Sockel ohne zugehörigen Grabstein zeigen allerdings an, dass der heutige Grabstein-Bestand (wie auch im Fall des älteren Friedhofs) nicht vollständig ist - die Zahl der (wohl zwischen 1938 und 1945) entwendeten Steine ist aufgrund der prekären Quellenlage nicht exakt ermittelbar.
Gottlieb Fischer war Rabbiner im ungarischen Stuhlweißenburg (Székesfehérvár), ehe er Eisenstadt zu seinem Alterssitz machte. Er starb 85-jährig am 24. Tischri 5656, d.i. Samstag, der 12. Oktober 1895, und wurde zwei Tage später auf dem jüngeren jüdischen Friedhof in Eisenstadt begraben; sein Grab befindet sich, zusammen mit den Gräbern weiterer Honoratioren der Gemeinde, in der ehemals ersten, heute (durch die angesprochene Einziehung einer zusätzlichen Reihe von Gräbern für jüdische Zwangsarbeiter nach 1945) zweiten Grabreihe.
Ausführlich rühmt die (hebräische) Grabinschrift R. Fischers Gelehrsamkeit und Tugendhaftigkeit:
Grabinschrift von R. Gottlieb Fischer (aus: Reiss 1995. Abschnitt 218)»H(ier liegt) b(egraben) der große, gelehrte und gerechte Rabbiner, fromm und bescheiden, der berühmt war in den Ländern, gepriesen mit überaus vielen Lobgesängen. Schon von den Tagen seiner Jugend an vollbrachte er auf wunderbare Weise gute Taten, und seine Gerechtigkeit und Edelmütigkeit gingen vor ihm einher. (...) Mit reinen Augen und lauterem Herzen herrschte er als Gerechter in Gottesfurcht. Die Flamme des Eifers für die Tora und ihre Bezeugung brannte in ihm bis ins Alter.«
Grabstein von R. Gottlieb Fischer, Jüngerer jüdischer Friedhof Eisenstadts
Johannes Reiss: "Hier in der heiligen jüdischen Gemeinde Eisenstadt. Die Grabinschriften des jüngeren jüdischen Friedhofes in Eisenstadt". Eisenstadt 1995.
Johannes Reiss: "... weil man uns die Heimatliebe ausgebläut hat ... Ein Spaziergang durch die jüdische Geschichte Eisenstadts". Eisenstadt 2001. bes. S. 75-78.